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11.04.2023
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Südtiroler Automotive-Firmen als Vorreiter bei CO₂-Fußabdruck

Mit einer Machbarkeitsstudie machen sich die Mitglieder des Netzwerks Automotive Excellence Südtirol daran, ein standardisiertes Echtzeitmonitoring des CO₂-Fußabdruckes mittels Digitalisierung, Sensoren und IoT-Lösungen zu entwickeln.

Ein weiterer Schritt im Bemühen um mehr Nachhaltigkeit der Betriebe rund um den neuen Sitz des NOI Techpark in Bruneck, der im Mai 2023 seine Tore öffnet.

 

Wie viel Kohlendioxid verursachen Unternehmen mit ihren Produktionsprozessen und Produkten? Eine Frage, der sich vor allem Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, immer drängender stellen müssen. So auch die wichtigsten Zulieferbetriebe der Automotive-Industrie mit Standort in Südtirol, die sich im Innovationsnetzwerk Automotive Excellence Südtirol (AES) zusammengeschlossen haben. „Eines der kundenseitig wichtigsten Themen im Bereich Nachhaltigkeit ist heute der CO₂-Fußabdruck“, sagt Wolfgang Knollseisen, CFO von Alupress. Das Brixner Unternehmen, Spezialist im Bereich einbaufertiger Aluminiumdruckgusskomponenten, hat den Lead in einem Projekt, mit dem sich das Innovationsnetzwerk ein ehrgeiziges Ziel gesetzt hat: innovative Methoden und Ansätze zu entwickeln, um CO₂-Emissionen von Produkten netzwerkintern nach einem einheitlichen Standard zu erheben, zu berechnen und darzustellen. Und das möglichst einfach und aufwandsarm, aber klarerweise unter Einhaltung aller internationalen Normen und Standards.

Vom geschätzten zum effektiven Fußabdruck

„Der Bereich der Erfassung und Quantifizierung des CO₂-Fußabdrucks von Produkten oder Herstellungsprozessen an sich ist nicht neu. Es gibt bereits seit geraumer Zeit sowohl Methoden als auch Werkzeuge für sogenannte Life-Cycle-Assessments, kurz auch LCA genannt“, erklärt Erwin Rauch, der mit seiner Stiftungsprofessur im Bereich Smarte und Nachhaltige Produktion einer der wissenschaftlichen Köpfe der unibz im neuen NOI Techpark in Bruneck sein wird. Allerdings seien diese noch unzureichend verbreitet und würden aktuell noch nicht flächendeckend Anwendung in den Betrieben finden. Auch bei den AES-Mitgliedern spürt man eine starke Verantwortung für die Dekarbonisierung in Südtirol sowie den zunehmenden Druck auf Produzenten und Lieferanten im Automobilbereich und die immer strengere Gesetzgebung in Bezug auf die Offenlegung der CO₂-Emissionen. „Hier liegt der Fokus zum einen auf den Maßnahmen, um den CCF (company carbon footprint) zu reduzieren und zum anderen auf der Ermittlung des PCF (product carbon footprint). In diesem Bereich haben alle Unternehmen unserer Gruppe bereits erste Schritte gesetzt, aber noch keiner hat ein wirkliches System etabliert. Somit haben wir uns dazu entschlossen dieses Projekt zu starten, um gemeinsam am Thema zu arbeiten“, erklärt Knollseisen.

In einem ersten Schritt wollen die Betriebe einen Standard entwickeln, mit dem im Rahmen von Angebotsabgaben der CO₂-Fußbadruck der Produkte „cradle to gate“, also vom Abbau der Rohstoffe bis zur Bereitstellung des Fertigprodukts am Werkstor, angegeben werden kann. „Durch die Zusammenarbeit mit den anderen Südtiroler Automobilzulieferern können wir hier unserer Erfahrungen hinsichtlich der Kundenanforderungen und hinsichtlich der Systemauswahl und der Systemgrenzen teilen und zu einem gemeinsamen Standard kommen“, sagt Alupress-CFO Knollseisen. Doch damit ist das Ziel noch nicht erreicht. Nach erfolgter Angebotsabgabe und Auftragserhalt ist es in einem zweiten Schritt notwendig, den effektiven Fußabdruck des Produkts mit dem im Vorfeld kalkulatorisch ermittelten Wert zu vergleichen. Dies soll in Zukunft möglichst durch ein Live-Tracking, also die kontinuierliche Erfassung der relevanten Daten und Beobachtung der Entwicklung des PCF über die Zeit erfolgen.

Wissenschaftliche Begleitung durch unibz und Fraunhofer Italia

Wissenschaftlich begleitet werden die Unternehmen nicht nur von der Freien Universität Bozen, sondern auch von Fraunhofer Italia. „Als Spezialist für angewandte Forschung wird Fraunhofer ein starker Partner in diesem Projekt sein – bei der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in praktische Anwendungen, aber auch bei der Entwicklung von Lösungen für spezifische Aspekte des Projekts, die einen maßgeschneiderten und kreativen Ansatz erfordern“, stellt Fraunhofer Italia Forscher Davide Don in Aussicht. Eine zentrale Rolle spielen aber auch digitale und IoT-Lösungen. „Europa hat hier generell großes Potenzial, die derzeit ausgezeichnete Ausgangsposition hinsichtlich Digitalisierung und Industrie 4.0-Technologien mit den Themen der ökologischen Nachhaltigkeit zu verbinden, um dadurch einen globalen Wettbewerbsvorteil zu erzielen“, meint Prof. Erwin Rauch. Umso wichtiger sei dieses Forschungsprojekt. „Aktuell ist es noch sehr mühsam und erfordert sehr viel manuelle Arbeit, die notwendigen Daten für die Berechnung des CO₂-Fußabdrucks eines Produktes zusammenzutragen und dann auch noch in systematischer und methodisch korrekter Weise zusammenzufügen. Das Hauptpotenzial des Projekts liegt in der Möglichkeit, dies mit dem Tracking realer Daten und einer weitgehend automatisierten Berechnung zu bewerkstelligen. Am Ende der Machbarkeitsstudie werden wir bewerten, ob die einzelnen Betriebe die notwendigen Voraussetzungen hierfür mitbringen bzw. was dafür in Zukunft notwendig ist. Die mittelfristige Perspektive wäre dann, in einem nachfolgenden F&E-Projekt gemeinsam ein solches Carbon Footprint Monitoring Tool zu entwickeln und in den AES Unternehmen zu verankern. Damit würde nicht nur der anstehende Aufwand für die Erhebung der CO₂-Emissionen erheblich verringert, sondern vor allem auch ein künftiger Wettbewerbsvorsprung für die AES-Unternehmen erzielt“, so Rauch.

„Nur nachhaltige Unternehmen werden in Zukunft bestehen können“

Mit vollem Einsatz dabei sind die einzelnen AES-Pilotbetriebe, bei denen jeweils eine Carbon Footprint Analyse durchgeführt wird. „Nachhaltigkeit ist die Herausforderung der kommenden Jahre und Jahrzehnte – auch weil das Thema mit der wirtschaftlichen Entwicklung einhergeht. Nur nachhaltige Unternehmen werden in Zukunft bestehen können, davon bin ich fest überzeugt“, sagt Georg Grünbacher von Intercable. Der innovative Schritt des Echtzeitmonitorings biete dem führenden Kunststoffproduzenten die Möglichkeit, sowohl in der Produktion als auch in der Angebotsphase von Neuprojekten direkte Ableitungen zu treffen und die Planung anhand des CO₂-Fußabdrucks auszurichten. „Damit erhalten wir ein effizientes Werkzeug, um direkt auf die Vergabe von Neuprojekten einwirken zu können. Die Erfahrungen und der Austausch mit den anderen teilnehmenden Firmen bieten dabei einen ungemeinen Mehrwert, um möglichst alle Aspekte und Anforderungen zu erfassen und das Projekt dank der verschiedenen Blickwinkel auch möglichst effizient zu realisieren“, so Grünbacher.

Luft nach oben für die Verbesserung der Umweltauswirkungen und der Energiebilanz der eigenen Produkte sehen alle Pilotbetriebe. „Das größte Potenzial liegt, wie auch in vielen anderen Branchen, in der Gewinnung der Rohstoffe und der Reduzierung der immensen Transportstrecken“, sagt Georg Trompedeller, Head of Quality bei Tratter Engineering, einem weiteren Hersteller von Kunststoffkomponenten.Lokale Produktionen, Qualität und strukturierte Prozesse sollten dafür wieder mehr in den Fokus rücken. Auch der smarte Einsatz der Produkte könnte den Lebenszyklus vieler Produkte um ein Vielfaches verlängern.“

Vielfach geht es aber um besonders energieintensive Prozesse, auf die sich die Pilotbetriebe in einem ersten Schritt fokussieren. „Unser energieintensivster Prozess ist unumstritten das Härten der Teile“, sagt Michaela Golser von GKN Driveline. Bisher härtete der Produzent von elektrifizierten Antrieben und Allradsystemen für die Automobilbranche die Teile in der Gashärterei, die aufgrund des hohen Verbrauchs eines fossilen Energieträgers eine schlechte CO₂-Bilanz aufweist. Derzeit sei deshalb eine insgesamt dreijährige Umstellung des Härtereiprozesses in Gange. In einer neuen Härterei werde man statt mit Gas mit Strom arbeiten, der bei GKN dank Wasserkraft zu 100% grün ist. „Damit reduziert sich unsere CO₂ Bilanz erheblich“, sagt Golser. „Für die weitere Reduzierung von CO₂ müssen große Unternehmen jedoch noch viel mehr auf Nachhaltigkeit setzen - sei es beim Kauf neuer energieeffizienterer Maschinen als auch bei der Auswahl der Lieferanten und der Effizienz der Logistikprozesse, um den Transportweg gering zu halten.“

Vorreiter für andere Sektoren

Beim Schwesternbetrieb GKN Sinter Metals arbeitet man eng mit den Kunden zusammen und hat schon früh Strategien entwickelt, wie das eigene Business in Zukunft CO₂-neutral gestaltet werden kann. „Der erste Schritt dazu war, zu bewerten, wo wir stehen und wie wir uns als GKN in Zukunft vorstellen, CO₂-neutrale Produkte herzustellen“, erklärt der Verantwortliche für Global Manager Manufacturing Engineering and Sustainability Projects Markus Preuß. „Somit haben wir eine Roadmap entwickelt, die fünf maßgebliche Säulen beinhaltet: Weitere Investitionen in die Digitalisierung unserer Prozesse, Ressourceneffizienz und einen nachhaltigen Einkauf, die Integration von Mitarbeitenden, soziale Event-Partnerschaften und zu guter Letzt Innovation und Entwicklung von CO₂- neutralen Produkten.“ Begleitet auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit wird man bei GKN auch von externen Partnern wie der TU München oder der Freien Universität Bozen – von Life Cycle Assessments über Workshops bis hin zur Mitarbeiterbindung für neue Ideen zu Energieeffizienz und Dekarbonisierung. Darüber hinaus investiere GKN in die einzelnen Standorte, um diese nach und nach mit Photovoltaik-Systemen auszustatten und Fertigungsprozesse durch Neuerungen energetischer zu betreiben.

Kurzum: Die Forschung im Bereich der nachhaltigen Fertigung am neuen Sitz des NOI Techpark in Bruneck wird auf hohem Niveau starten – mit einem breiten Pool an Erfahrungen und Know-how der Betriebe vor Ort, der durch das neue gemeinsame Projekt weiter wächst. „Durch die Zusammenarbeit schaffen wir einerseits eine Plattform, um uns über generelle Maßnahmen zur Energieeinsparung und -optimierung auszutauschen, und entwickeln andererseits gemeinsam Systeme, die dann auch von anderen Sektoren übernommen werden können“, resümiert Projektleiter Wolfgang Knollseisen.