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Diego Calvanese: „Die Zukunft liegt in den Daten“
2021-11-26 2021-11-26 26 November 2021
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Der unibz-Professor, einer der weltweit führenden KI-Experten, verrät seine neuesten Forschungsergebnisse und das Geheimnis seines Erfolgs.

Er zählt zu den Informatikern, die das digitale Zeitalter neu definieren, und ist einer der weltweit meistzitierten Experten auf dem Gebiet der Wissensrepräsentation in der Künstlichen Intelligenz.  Die Rede ist von Diego Calvanese, Professor der Fakultät für Informatik der Freien Universität Bozen. Unter den zahlreichen Auszeichnungen, die er im Lauf seiner Karriere erhalten hat, wurde ihm vor kurzem auf der Konferenz AAAI 2021 der Classic Paper Award für den einflussreichsten Artikel der letzten 15 Jahre in seinem Forschungsfeld verliehen. Eine Studie, mit der Calvanese und sein Team die theoretischen Grundlagen für eine neue Forschungsrichtung zur Analyse von Daten legten: Es handelt sich um Ontop — ein Projekt, aus dem Ontopic hervorging, das erste Spin-off der Freien Universität Bozen, das in unserem Start-up Incubator angesiedelt ist. Eine hochkomplexe Pionierleistung, die sich positiv auf viele Bereiche auswirken kann — von der ökologischen Nachhaltigkeit bis zur Gesundheit. Schließlich besteht die Welt um uns herum aus Daten, die tagtäglich unsere Entscheidungen beeinflussen. Deshalb ist es wichtig, sie lesen, integrieren und interpretieren zu können.

Professor Calvanese, beginnen wir mit der Aktualität: Vor wenigen Tagen ist die 21. Ausgabe der SFScon, der internationalen Konferenz für Free Software, zu Ende gegangen. Wie wichtig sind Veranstaltungen wie diese für die Verbreitung von digitalem Wissen?

Veranstaltungen wie die SFScon sind sehr fruchtbar, weil sie Forschende und User*innen zusammenbringen, die Technologien wie Open Source in realen Kontexten anwenden. SFScon schafft es jedes Jahr, internationales Know-how nach Bozen zu bringen und uns zu zeigen, was in der Welt passiert. Gleichzeitig ermöglicht sie lokalen Playern zu präsentieren, was hier bei uns alles passiert. In unserem Bereich wissen wir oft nicht einmal, was in unserem Nachbarbüro entwickelt wird. Daher sind Veranstaltungen sehr hilfreich, auf denen es einen Austausch zu aktuellen Themen und Trends gibt. Sie sind auch ein repräsentatives Schaufenster für Südtirol selbst, das sich Studierenden oder jungen Nachwuchskräften zeigen kann.

Vor zweieinhalb Jahren gründeten Sie Ontopic, ein Spin-off der Universität, das im NOI Techpark inkubiert wurde. Woran arbeiten Sie?

Ontopic ist ein Unternehmen, das aus einem Bedürfnis heraus geboren wurde: eine Technologie zu vermarkten, die wir in jahrelangen Studien mit meinem Forschungsteam an der Universität Bozen entwickelt haben. Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit der Entwicklung fortschrittlicher Lösungen für den Zugriff und die Integration komplexer Daten. Indem wir semantische Technologien verwenden, können wir die Daten für jedermann leicht nutzbar machen. Wir haben vor kurzem die erste Version unserer Software namens Ontopic Studio veröffentlicht, die es erlaubt, sich problemlos mit heterogenen Datenquellen zu verbinden und sie in einem einheitlichen Kontext zu integrieren und verwenden. Es ist eine einzigartige und weltweit anerkannte Lösung. Eine ähnliche Arbeit haben wir auch mit HIVE gemacht, dem Projekt, das im Rahmen der Fusion Grant-Ausschreibung entwickelt wurde. Wir haben den Zugriff auf Textdaten in Form eines "Knowledge Graph" ermöglicht, die leicht abgefragt werden können und "virtuell" sind, weil sie weiterhin in ihrem entsprechenden Ursprungsformat bleiben. Darüber hinaus unterstützen wir als Unternehmen auch die Entwicklung von Open Source-Technologien, indem wir Beratungsleistungen anbieten und Lösungen im Rahmen der Datenintegration entwickeln.

Eine Auswertung von Daten, die in vielen Bereichen neue Horizonte eröffnet...

Die Notwendigkeit, Daten zu integrieren, ist mittlerweile omnipräsent und in allen Sektoren eine Herausforderung. In der öffentlichen Verwaltung beispielsweise wird täglich eine schnelle und qualitativ hochwertige Integration von Zahlen, Namen und Daten benötigt. Einer der am besten geeigneten Kontexte ist sicherlich auch die ökologische Nachhaltigkeit. Umweltpolitik muss heute zunehmend auf Beobachtungen und konkreten Fakten basieren, die durch reale und greifbare Daten bestätigt werden. Letztere müssen die Entscheidungen leiten, die die Institutionen zu treffen haben. Die Herausforderung der Zukunft wird jedoch darin bestehen, alle Daten zu einer bestimmten Thematik zu gruppieren und sie dann bestmöglich zu analysieren, um durch maschinelles Lernen oder maschinelle Lerntechniken einen Mehrwert zu erzielen.

Arbeiten Sie auch mit NOI Techpark zusammen?

Ja, absolut. Wir haben eine wunderbare Beziehung zum Tech Transfer Digital Team von NOI Techpark und sind stark im Open Data Hub Projekt aktiv. Insbesondere kümmern wir uns um die Entwicklung und Integration von Hub-Daten, so dass sie für jedermann zugänglich und abfragbar sind. Dazu stellen wir sie auch hier als „Knowledge Graph“ zur Verfügung, also als flexible Datenstruktur. Auf diese Weise ist es möglich, verschiedene Daten zu kombinieren, beispielsweise meteorologische Daten mit Daten zur Mobilität. So können genauere Analysen durchgeführt werden, die bei getrennten Daten nicht möglich wären.

Ein weiterer Sektor, in dem die Informationstechnologie sehr wichtig ist, ist das Gesundheitswesen. Wie weit sind wir hier?

Covid hat sicherlich einen Schub von technologischen Anwendungen im Gesundheitswesen gebracht. Vor kurzem wurde im NOI Techpark eine Konferenz zu diesem Thema – Data4SmartHealth – organisiert, um die Zusammenarbeit zwischen lokalen Unternehmen, Gesundheitsbehörden und Forschenden sowie den Technologietransfer zu fördern. Große technologische Fortschritte wurden beispielsweise in der Telemedizin gemacht. Während einer Pandemie ist es wichtig, die Kontakte zu minimieren. Die Möglichkeit, den Zustand von Erkrankten aus der Ferne zu diagnostizieren, ist eine grundlegende Hilfe. Generell gibt es aber auch interessante Entwicklungen bei fortschrittlichen Diagnosewerkzeugen und dem Einsatz künstlicher Intelligenz in der Medizin. All dies wird in Zukunft immer wichtiger werden.  

Wurden auch Initiativen mit spezifischem Bezug zu Covid umgesetzt?

Ja, vor etwa einem Jahr haben wir die Entwicklung einer App namens reCOVeryaID abgeschlossen: Es ist ein IT-Tool, das es dem behandelnden Arzt ermöglicht, täglich ein aktuelles, klares und umfassendes Krankheitsbild von Patientinnen oder Patienten zu erhalten und gleichzeitig dank eines integrierten Nachrichtensystems sofortiges Feedback zu senden. Das Projekt ist nicht nur für Covid-19-Erkrankungen konzipiert, sondern lässt sich auch in anderen Bereichen einsetzen, insbesondere für die Überwachung von Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck. Ich hatte das Vergnügen, das ehrgeizige Projekt der Forscherin Daniela D'Auria von Smart Data Factory zu betreuen.

 

Konnten Sie in den vergangen Jahren beobachten, wie im NOI zwischen Forschung und Unternehmen neue Verbindungen entstanden sind?

Wir freuen uns sehr, im NOI Techpark dabei zu sein, denn wir glauben, dass er der ideale Ort für ein Unternehmen wie unseres ist. Man kann leicht andere interessante Unternehmen treffen und oft ergeben sich dabei Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Außerdem werden verschiedene und sehr wichtige Dienstleistungen zur Verfügung gestellt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Sie sind einer der weltweit meistzitierten Professoren und einer der anerkanntesten Experten auf Ihrem Gebiet. Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs?

Ich habe immer versucht, das zu tun, was mir am meisten Spaß gemacht hat, und die Leidenschaft für meine Arbeit im Laufe der Zeit immer wieder neu zu füttern. Natürlich braucht man auch technische Fähigkeiten, das ist unbestreitbar. Aber es ist einfacher, Dinge gut zu machen, wenn man an etwas arbeitet, das einem gefällt. Darüber hinaus ist es wichtig, immer offen für Neues und für einen internationalen Austausch zu sein. Wenn man sich in seiner eigenen Institution einschließt, erfährt man nicht, was im Rest der Welt interessant und relevant ist. Und man riskiert, dass man sein Wissen nicht weitergibt.